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K&K goes Patchwork
in der Ausstellung Apfelflug vom Stamm
Galerie der Künstler*innen, München

Unter dem Titel Wir nähen an WUNSCH & WIRKLICHKEIT lädt K&K die Künstler*innen des Netzwerks ein, gemeinsam an einer raumgreifenden Textilskulptur zu nähen. In ihren Einzelteilen besteht diese aus mitgebrachten Textilien, die ganz individuell von den jeweiligen Familiensituationen der Künstler*innen zeugen. Beim gemeinsamen Nähen verbinden künstlerisch bearbeitete Bekleidungs-, Dekorations- und Industrietextilien sich gleichermaßen; auf Vorder- und Rückseite entstehen zwei unterschiedliche Gewirke wie Wunsch und Wirklichkeit; ein Diskurs über eine aktuelle Situation und zukünftige Visionen von Familie entsteht. Im Raum spannt sich das fertige Textil auf, an und unter dem weitergearbeitet wird, ergänzend werden in einem großformatigen Buch zugehörige Fotografien und Kurztexte gezeigt. Auch die Besucher*innen sind herzlich eingeladen bei den Nähaktionen mit zu nähen.

Kuratiert und organisiert von Luisa Koch und Verena Seibt

Teilnehmende Künstler*innen:
Alicia Henry, Andrea Golla, Anja Verbeek von Loewis, Anna Schölß, Annegret Bleisteiner, Christian Weiß, Christine Tanqueray, Daniel Goehr, Elena Gavrisch, Elke Dreier, Emanuel Mooner, Ergül Cengiz, Florian Froese-Peeck, Gabi Blum, Heike Jobst, Helena Heilig, Jens Kothe, Jessica Twitchell, Johannes Hochholzer, Katrin Bertram, Kirsten Kleie, Louisa Abdelkadar, Luisa Koch, Lukas Schmenger, Lumininita Mihailicenco, Magdalena Jooss, Manuela Gernedel, Mariella Kerscher, Michael Dobrindt, Nina Radelfahr, Patrizia Linke, Regine Rode, Rosanna Schuhmacher, Simone Braitinger, Simone Egger, Talia Schwarz, Thomas Silberhorn, Thomas Splett, Verena Seibt, Victoria Kleinecke

 

text zu "apfelflug vom stamm"

Tribut an Tante K. oder  wer ist eigentlich die Blüte und warum hat sie uns umhäkelte Taschentücher hinterlassen?

Es war einmal, vor langer Zeit, eine „unechte“ Tante. Tante K. war sehr früh Witwe geworden und lebte alleine in einer riesigen dunklen Altbauwohnung. Sie wachte für Geld unter der Woche über meine Schwester, damit die Mutter arbeiten gehen konnte. Tante K. war auf Grund dieser Umstände später immer dabei und gehörte doch nicht dazu. Sie saß still in einer Ecke und umhäkelte kleine Taschentücher mit feinem Garn und komplizierten Mustern. Tag für Tag, Taschentuch für Taschentuch. Verschenkte diese dann in der Familie mit Monogramm. Doch so recht war mit diesen Tüchern nichts anzufangen. Reinweiß und zart, kostbar und doch nutzlos. Nicht für den Rotz des Lebens geeignet. Entgegengenommen ohne Liebe und Dankbarkeit. Aus Höflichkeit und Anstand – bitter.
Aber Tante K. hatte noch eine andere, viel wichtigere Aufgabe. Eine Aufgabe, die ihr unausgesprochen, aber deutlich, von den „echten“ erwachsenen Familienmitgliedern übertragen wurde. Sie diente der bildgewordenen Abschreckung. Schau Kind – so endet ein Leben ohne Mann und Familie. Schau Mädchen – so endet ein Leben, für die, die nicht der Norm entsprechen, für die, die verschroben, eigenwillig und anders sind. Die nicht im Dienste von Führsorge und Aufopferung stehen. Überlege deshalb gut, wie und wer Du werden willst und wie Du leben möchtest.

Niemand, wirklich niemand, wollte so werden wie Tante K. Eine verschrobene alte Frau, die nutzlos Taschentücher umhäkelte. Die kinderlos einsam Darbende, die Ausgeschlossene - von allen belächelt oder bemitleidet, da leider ohne Blüte, ohne Mann und ohne Stamm.

Denn wisse Kind, die Wächter des Patriarchats legen großen Wert darauf, dass diese Geschichten weitererzählt werden. Die Ängste werden früh gesät und das Feuer der Furcht wird gern geschürt. Die Freiheit hat einen hohen Preis. Willst Du den wirklich zahlen? Gib Acht mein Mädchen, bring Dich in Sicherheit. Such Dir einen „männlichen Stammbaum“, der Dich behütet vor der Nutzlosigkeit und Einsamkeit.

Wie weit muss der Apfel fliegen, kullern, rollen, vor sich hin faulen, von Würmern zerfressen werden - bis diese Geschichte vergessen ist? Wann tauchen neue Bilder auf? Möchte ich Apfelmus werden oder Blütenregen? Oder gibt es hierfür keine passenden Begriffe? Das Apfelmusmodell - ohne Stammbaum, ohne Linie des Blutes – einfach nur leckerer Mischmasch – sauer und süß. Was tun? Wir rufen die Apfelschwestern zusammen, um blühend und häkelnd vereint, die andere Seite der Geschichte zu erzählen.

Was, wenn die Taschentücher nicht nutzlos sind, sondern ein geheimes Werkzeug des Widerstands? Vielleicht hat Tante K. in jede noch so kleine Masche, Schlaufe, Schleife, Stickerei ihre Liebe, ihre Träume, ihre Zuversicht, ihre Andersartigkeit, ihre Freundlichkeit, ihre Geduld, ihr Verständnis, ihr Beständigkeit, ihre Eigenwilligkeit, ihre Freiheit, hren Mut und ihre Hoffnung hineingehäkelt? Für uns Frauen, die nach ihr kommen? Damit wir mutiger werden können. Schreien, Spaß haben! Endlich. Raus aus der isolierten Kleinfamilie mit unterschiedlichen Abhängigkeitskonzepten. Wir sind kein Stamm, wir sind Gewebe verschiedenster Machart, verwoben mit uns und anderen. Gut vernetzt halten wir die neuen Räume.            kk